Sophia Neises

Bildbeschreibung: Abgebildet ist eine Draußenaufnahme von Sophia Neises in der der Vorstellung „Ohren Sehen“. Ihr Oberkörper befindet sich in der Mitte des Bildes. Der Hintergrund zeigt den Stamm einer Birke. Ein Spiel aus Licht und Schatten erstreckt sich über die Fotografie. Sophia Neises ist weiß, ca. 30 Jahre alt, hat kurze blond gefärbte Haare und grüne Augen, die in verschiedene Richtungen schauen. Ihr Gesicht wirkt offen und aufmerksam. Sie ist mit einem Kopfhörer und einem Headset ausgestattet. Sie trägt außerdem einen Olivfarbenen Kaputzenpullover, der mit grünen und orangenen Schnüren überwachsen ist. 

© Dieter Hartwig

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Image description: The picture shows an outdoor shot of Sophia Neises as part of the performance "Ohren Sehen". Her upper body is in the center of the picture. The background shows the trunk of a birch tree. A play of light and shadow extends across the photograph. Sophia Neises is white, around 30 years old, has short, dyed blonde hair and green eyes that look into different directions. Her face appears open and attentive. She is equipped with headphones and a headset. She is wearing an olive-colored hoodie with green and orange strings.

Sophia Neises ist freischaffende Performerin, Choreografin, Access-Dramaturgin, Theaterpädagogin (MA Universität der Künste Berlin) und Behindertenrechtsaktivistin im Kulturbereich aus Berlin. Unter anderem entwickelt sie seit 2016 mit der*dem Choreograf*in Zwoisy Mears-Clarke deren Tanzform „Non-visual Dance”. 2018 begann für sie die Auseinandersetzung mit dem Spektrum Audiodeskription als Barrierefreiheitsangebot und Audiodeskription als Kunstform. So kollaborierte sie 2021 mit Ursina Tossi, 2022 mit Michael Turinsky und 2023 mit dem Kollektiv Rykena/Jüngst in Tanzperformances auf Kampnagel Hamburg, wo sie jeweils in künstlerischer Zusammenarbeit eine poetische, in den Sound eingebettete, Audiodeskription verwirklichte. September 2023 zeigte sie ihre Debutarbeit „WITH OR WITHOUT YOU“, eine Tanzperformce zum Thema queerer Erotik von Assistenz. Im selben Jahr wurde sie mit der "Ehrung für herausragende Entwicklung im Tanz" des Deutschen Tanzpreises ausgezeichnet. Sie identifiziert sich als behinderte Künstlerin und regt an, die individuellen Wahrnehmungsstile von Menschen im höchsten Maße wertzuschätzen und bedingungslosen Zugang zu Kunst schon im Prozess zu kreieren.

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Sophia Neises is a Berlin-based freelance performer, choreographer, access dramaturge, theater educator (MA Berlin University of the Arts) and disability rights activist in the cultural sector. Recent projects include the development of her form of dance, "Non-visual Dance", with choreographer Zwoisy Mears-Clarke since 2016. In 2018, she began exploring the spectrum of audio description as means of accessibility and audio description as an art form. In 2021, she collaborated with Ursina Tossi, in 2022 with Michael Turinsky and in 2023 with the collective Rykena/Jüngst in dance performances at Kampnagel Hamburg. In these respective artistic collaborations, she realised a poetic audio description embedded in the sound. In September 2023, she presented her debut work "WITH OR WITHOUT YOU", a dance performance on the subject of queer eroticism of assistance. In the same year, she was awarded the German Dance Award's "Award for Outstanding Development in Dance". She identifies as a disabled artist and encourages people to value their individual styles of perception to the highest degree and to create unconditional access to art in the process.


 

Interview Transcription:

MJ: So, the first question is: What is care for you?

SN: I think what I enjoy the most… ach Deutsch, German…

MJ: Yes.

SN: Ich glaub was ich am meisten an Care oder Umsorgen genieße, ist der Moment wenn es gegenseitig passiert und es nicht nur in eine Richtung passiert weil,  das ist das was eigentlich mit uns… das ist glaube ich die Realität dessen, das ist immer in beide Richtungen und… das wird aber oft… nicht eingestanden, dass es in beide Richtungen passiert und… [unintelligible] für mich diesen Fluss von Energie zu spüren der in beide Richtungen geht und selbst wenn jemand mich umsorgt oder mir Carearbeit zur Verfügung stellt, dann auch zu spüren was in der zwischenmenschlichen Beziehung passiert, genau wie wenn ich die Arbeit jemandem entgegenbringe, das ist das was mich immer am meisten berührt an Care, und was Care ist für mich…hmm… ist die Form zwischenmenschlicher Beziehung, die sehr viel mit Vertrauen zu tun hat, die intim ist, und auch nicht nur mit engen Vertrauten sondern auch mit flüchtigen Fremden… yeah I think I got it.

MJ: Great thank you, and the second question is: What is access for you?

SN: Access is Love (gesungen, lacht anschließend)… auf Deutsch access… access ist immer so kompliziert zu übersetzen. Das heißt irgendwie Zugang und dann aber auch eigentlich Barrierefreiheit, weil für mich ist Access etwas sehr Behinderungspezifisches und… Barriererfreiheit oder Access ist für mich der Ort an dem ich sein kann… wer ich bin und nicht nur reduziert auf Behinderung, nicht nur auf diesen einen Teil meiner Identität reduziert, sondern, wenn meine Behinderung wahrgenommen ist und wir sie dann vergessen können, und wir im Raum sein können und jede Person die im Raum ist mit ihren eigenen Identitäten da sein darf und wenn es ein Raum voller behinderter Menschen ist, dass wir dann uns sowieso immer schon begegnen mit allem anderen was noch da ist, weil wir viel mehr in der Lage sind unsere Behinderung total zu umarmen und wertzuschätzen aber sie auch eben nur als ein Teil dessen existieren lassen und dazu klar brauchen wir einerseits dieses Verständnis voneinander also diese Barrierefreiheit ne in den Mindsets, in den Gedanken, den Vorurteilen, die in den Crip-Only Spaces sowieso schon abgebaut werden oder anders Präsent sind, aber dann, ja, braucht es natürlich auch bestimmte Anpassungen in einem Raum die wir als Gruppe anfragen, die wir als Gruppe möchten, damit wir alle eben hier so existieren können wie wir sein wollen um alle Facetten von uns zeigen zu können. Und wenn wir die ganze Zeit damit strugglen, dass es Barrieren gibt, dann können wir nicht wir selbst sein dann sind wir nur der Teil der Behinderung der die ganze Zeit behindert wird. Dann fehlt der Stolz und die Intersektionalität. Done.

MJ: Awesome thank you, and the third question is: What is interdependence for you?

SN: Interdependenz, da fällt mir als erstes zu ein, dass Unabhängigkeit eine Illusion ist, eine Illusion, die sehr ableistisch ist, eine Illusion, in der viele von uns aufwachsen und sich der auch erstmal hingeben und wir es versuchen aufrechtzuerhalten und dann… wenn wir es schaffen diese Illusion, diese Blase irgendwann platzen zu lassen und uns eingestehen das wir interdependent sind also, alle in einem Netz von vielen abhängigen Knoten miteinander verwoben sind, wenn wir das anfangen, dann gibt es eine Möglichkeit Empathie zu entwickeln, miteinander und füreinander, dann gibt es die Möglichkeit Hierarchien abzubauen, weil alle verstehen dass wir einander brauchen, und dann gibts die Möglichkeit das Stigma von Assistenz zum Beispiel auch zu verändern und vom Negativen in sogar etwas Positives aber zumindest in etwas Neutrales umzuwandeln. Yep.

MJ: Great thank you, and the last question is: What is cure for you?

SN: Oh damn (lacht),

MJ: And on that note (gelächter) this is my controversial question which again you don’t have to answer if you don’t want to.

SN: No, I love it oh I love to say Ay! (Gelächter)… cure… huh, on a personal level, auf einer persönlichen Ebene, ähm… wäre nicht eine arrogante Ärzt*innenschaft dagewesen um mich permanent heilen zu wollen würde ich heute besser sehen als nach den ganzen Ego-Operationen, das erstmal so auf pragmatischer Ebene,und hier [auf der], ja, weitergedachten Ebene, die mehr losgelöst ist als von mir… sehe ich Heilung einfach… ja, grundsätzlich oder meistens als ein sehr ableistisches Konzept, also wieviel Geld da reininvestiert wird in medizinische Heilung ist unfassbar und das… was passiert mit uns behinderten Menschen, die halt schon mit den Behinderungen leben? Wo sind unsere finanziellen Unterstützungen? Und durch diesen starken Heilungsgedanken, der natürlich auch noch in christlichen Werten ganz stark irgendwie vertreten ist und darauf baut Deutschland auch auf, fühlt sich der Kampf gegen Ableismus immer wieder sehr nach Don Quichotterie an also sehr nach „ich kämpfe gegen Windmühlen“ weil, ich kann noch so viel aufbauen und stolz sein und laut sein und aktivistisch sein, wenn aber dann die Medizin kommt, die meine Identität, meine Existenz in Frage stellt als blinde Person in dieser Gesellschaft, dann weiß ich nicht wo ich in meinem Aktivismus ansetzen soll, also wenn meine Daseinsberechtigung in dem Teil meiner Identität der behindert wird mir abgesprochen wird oder in Frage gestellt wird ob der überhaupt  existieren muss, also dann weiß ich gar nicht wo ich, wie ich daran arbeiten kann, weil dann gibt es keine Förderung weil es ja nicht nachhaltig sein muss weil es in Zukunft keine behinderten Menschen geben soll, dann kann ich noch so viel empowern, wenn die Menschen in sich selber lernen dass sie eigentlich nicht gewollt sind von der Gesellschaft und der Medizin und dann komm ich mit meinen Theaterprojekten und versuche damit innere Mindsets zu verändern und da Menschen dazu zu verhelfen sich selbstwirksam zu fühlen ist das doch jedes Mal wieder die Bremse. Und da… ja, dieser starke Heilungsgedanke in der Gesellschaft, in der Literatur über Behinderung, der macht mir Angst. Jo.

MJ: Awesome thank you, I’ll stop the recording

SN: That’s a cool question


English Translation

MJ: So, the first question is: What is care for you?

SN: I think what I enjoy the most... oh, Deutsch, German...

MJ: Yes.

SN: I think what I enjoy most about care or Umsorgen, taking care of, is the moment when it happens mutually, and it isn’t just one-sided, because that's what actually happens to us... I think that's the reality of it, it's always mutual and... but that's often... not admitted, that it is mutual and... [unintelligible] for me to feel that flow of energy that goes both ways, even if someone is caring for me or providing me with care work, then to also feel what's happening in the interpersonal relationship, just like when I'm providing that work to someone, that's what always touches me the most about care and what care is for me.... hmm... [it] is the form of interpersonal relationship that has a lot to do with trust, that is intimate, and also not only with close confidants but also with casual strangers... yeah, I think I got it.

MJ: Great thank you, and the second question is: What is access for you?

SN: Access is love (sung, laughs afterwards)... in German access... access is always so complicated to translate. It kind of means access, and then actually Barrierefreiheit, accessibility, because for me access is something very disability-specific and to me... accessibility or access is the place where I can be who I am and not just reduced to disability, not just reduced to this one part of my identity, but when my disability is perceived and we can then forget about it and we can be in the space and every person who is in the space is allowed to be there with their own identities -- and if it is a space full of disabled people that we then always still encounter one another with everything else that is also there, because we are much more able to totally embrace and appreciate our disability, but also let it exist as just a part of it and for that we clearly need on the one hand this understanding of each other, this accessibility, you know, in mindset, in thoughts, prejudices, which are already dismantled in the crip-only spaces anyway or are present in a different way, but then, yes, of course we also need certain adaptations in a space that we request as a group, that we want as a group, so that we can all exist there just as we want to be, to be able to show all aspects of ourselves. And if we are struggling all the time with the fact that there are barriers, then we can't be ourselves, then we are just that part of the disability that is being disabled all the time. Then there is no pride and no intersectionality. Done.

MJ: Awesome thank you, and the third question is: What is interdependence for you?

SN: Interdependence, the first thing that comes to my mind is that independence is an illusion, an illusion that is very ableist, an illusion that many of us grow up in and we give in to it and we try to maintain it and then... if we manage to let this illusion, this bubble burst at some point and admit that we are interdependent, that we are all interwoven in a web of many dependent nodes, if we start to do that, then there is a possibility to develop empathy, with each other and for each other, then there is a possibility to break down hierarchies, because everybody understands that we need each other, and then there is a possibility to change the stigma of assistance, for example, and to change it from a negative into even something positive but at least into something neutral. Yep.

MJ: Great thank you, and the last question is: What is cure for you?

SN: Oh damn (laughs),

MJ: And on that note (laughter) this is my controversial question which again you don't have to answer if you don't want to.

SN: No, I love it oh I love to say: ay! (laughter)... cure... huh, on a personal level, on a personal level, um... if there hadn't been an arrogant medical profession around to want to cure me permanently, I would be able to see better today than after all those ego operations, so that first of all on a pragmatic level, and here [on a], yes, broader level, which is more detached from me... I see healing simply... yes, basically or mostly as a very ableist concept, so how much money is invested in medical healing is unbelievable and that... what happens to us disabled people who already live with the disabilities? Where are our financial supports? And because of this strong idea of healing, which is of course also very strongly represented in Christian values and on which Germany is also based, the fight against ableism always feels very much like Don Quixote, very much like "I'm fighting against windmills", because I can build up as much as I want to and be proud and be loud and be activist, but when the medical profession questions my identity, my existence as a blind person in this society, then I don't know where to start in my activism, so when my right to exist in the part of my identity that is disabled is denied to me or questioned whether it has to exist at all, then I don't know where to start, I don't know how I can work on it, because then there is no support because it doesn't have to be sustainable because disabled people aren’t supposed to exist in the future, then I can empower as much as I want, when people internalize that they are actually not wanted by society and medicine, and then I come in with my theatre projects and try to change mindsets and help people to feel self-efficient, that is what pulls the brakes every time. And... yes, this strong idea of healing in society, in literature about disability, scares me. Yes.

MJ: Awesome thank you, I'll stop the recording

SN: That's a cool question.

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